Zeitzeuge Siegfried Wittenburg

Mai 2024 - Am 13.5.24 hatten wir den Zeitzeugen Siegfried Wittenburg bei uns zu Gast.

„Haben Sie eigentlich Angst, wenn Sie Polizisten sehen?“ – Mit dieser Frage beginnt Siegfried Wittenburg, Fotograf und Zeitzeuge aus Rostock seinen Vortrag „Leben in der Utopie - Der Alltag ohne Freiheit und Demokratie“ und die Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klassen der Arnesboken-Schule wirken etwas überrascht, dass dies der Fall sein könne.

In einer Demokratie und einem Rechtsstaat, in dem alle Gewalten an die Rechtsordnung gebunden sind und sich gegenseitig überwachen (Gewaltenteilung), muss niemand Angst vor Polizisten haben. Wie anders dies in der DDR war und wie der Staat das Leben seiner Einwohner fremdbestimmte, das macht Herr Wittenburg an vielen persönlichen Erlebnissen deutlich.

Er hat über viele Jahre den Alltag in der DDR fotografisch porträtiert und ist bei seiner Arbeit allen Facetten der Drangsalierung durch staatliche Stellen begegnet. Als „einen Drahtseilakt“ beschreibt er sein Leben, ihm sei nicht bewusst gewesen, wie nah er immer wieder dem Absturz gewesen sei.

An vielen Episoden aus seinem Leben zeigt er, unterstützt durch Fotos, die er über die Zeit gemacht hat, wie der DDR-Staatsapparat in das Leben seiner Bürgerinnen und Bürger eingriff:

Zensur bei der Zusammenstellung von Bildern für eine Ausstellung, Verlust des Arbeitsplatzes, wenn man sich kritisch äußerte, die oben erwähnte Angst, wenn man sogenannten Staatsdienern begegnete, da man sich nie sicher sein konnte, wegen Nichtigkeiten belangt zu werden. Und dann noch die Bespitzelung durch eine Reihe von IM, darunter auch eine Person aus dem engeren Freundeskreis. An diesem Beispiel wurde besonders deutlich, wie menschenverachtend das System war, denn diese Person wurde nicht freiwillig zum Spitzel, sie wurde durch Bedrohung der eigenen Familie dazu gezwungen, Berichte zu schreiben.

Eindrücklich beschreibt Herr Wittenburg auch den Ablauf einer Wahl in einem Staat, in dem keine echten freien und geheimen Wahlen abgehalten werden und wo schon die Gestaltung des Wahlraumes darauf abzielt, genau zu erkennen, wer wem seine Stimme gibt.

Zuletzt richtet Herr Wittenburg einen dringenden Appell an die jungen Leute im Blick auf die anstehenden Wahlen. Sie sollten ihr Recht zu wählen wahr- und ernst nehmen und immer im Blick haben, welche Kräfte im aktuellen politischen Geschehen an einer Schwächung oder sogar einer Abschaffung der Demokratie arbeiten. Diese dürften nicht weiter erstarken oder die Überhand gewinnen, damit die Menschen in Deutschland und Europa weiterhin in Freiheit leben und ihre Zukunft selbstbestimmt gestalten können.

Text: Anne Süchting-Rose